François Beultier
„Im Studium der freien Kunst entschloss ich mich, die Entwicklung der Kunsthochschulen bzgl. ihrer Fokussierung auf die neuen Medien mit der Entscheidung, meine damals einzige Zimmerpflanze, eine Primel, immer und immer wieder zu „porträtieren“, malerisch zu kommentieren. Die in den wöchentlichen Kolloquien in der Malereiklasse in „Rückwärtsgewandtheit zwischen Impressionismus und Expressionismus“ verortete Malerei wie die permanente Anwesenheit des pflanzlichen Wesen veranlassten mich, mein gesamtes Studium und darüber hinaus, meine Zimmerpflanze durch die Malerei zu hegen und zu pflegen. Als kritische Position zur Konzentration der Kunstakademien auf die neuen Medien wurde das erst nach etlichen Präsentationen der „Primel“ auf den jährlichen Rundgängen erkannt. Zunächst brachte man diese etwas „langweilige Malerei“ nicht mit meinen damaligen, als wesentlich interessanter bewerteten Performances überein, denn die Unterschrift der Kunstfigur „François Beultier“ war nur auf der Rückseite zu finden. Niemand macht sich die Mühe, die Bilder mal als ganzes Objekt zu betrachten. Zum Glück war mein Studium zu Ende, bevor dieser Umstand erkannt und eine Karriere in der Malerei damit möglich wurde“ (…), berichtet François Beultier rückwirkend in einem Text über seine Studienzeit um die Jahrtausendwende.
François Beultier hatte seinen ersten Auftritt in einer Kunstakademie beim Rundgang im Wintersemester 2000/2001, als er mit angeklebtem Künstlerschnurbart, geschwungenem Seidenschal mit aufgesetztem Hut und Gebahren kostümiert auftrat und eine Reihe seiner gemalten „Primeln“ in den Fluren der Hochschule und in seiner Klasse ausstellte. Die Kunstfigur „François Beultier“ fand nicht sonderlich viel Beachtung, war den Kommilitonen der angehende Künstler doch schon unter anderem Namen bekannt. Zudem waren seine Bilder für das Publikum unsichtbar auf der Rückseite signiert und die Signatur demnach nur bei zu intensiver Beschäftigung mit dem Bild und allseitiger Betrachtung der Leinwandobjekte zu entdecken. Eine seinerzeit namhafte Galerie im Rheinland vermied schließlich eine Präsentation der augenscheinlich „delikaten Malerei“ Beultiers mit der Begründung einer zu „arg listigen Täuschung“ innerhalb der bereits anberaumten Einzelausstellung. So blieb dem „französischen Künstler“ zunächst eine angemessene Karriere versagt, was ihn zunächst in eine langanhaltende Malblockade führte, die sich aber im Angesicht der zunehmenden Bedeutung der Thematik von Täuschung und Enttäuschung in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten mehr und mehr löste…
Der Kunst wird gern die Sichtbarmachung der allgemeinen Suche des Menschen nach seiner Position in der Welt, einer Identifikation des Individuums und einer Bestimmung des Ichs zugeschrieben. In der Kunstgeschichte können wir an der Entwicklung der „Handschrift“ ablesen, wie ausdifferenziert sich das Individuum zu behaupten vermag und abzugrenzen versteht. Was aber, wenn sich ausschließlich die Konzentration auf das Ego kausal zur Dimension des Erfolgs eines Künstlers verhält? Wenn der Mensch von seiner egoistischen Entwicklung, der dauerhaften Pflege desselben und ein messbarer Gewinn nur von der Ausbildung des Egos abhängt und die Unfähigkeit, davon abzulassen wie der Mangel an anderen Strategien eine Situation gebiert, die sich im Persönlichen wie im Gesellschaftlichen derzeit überall zeigt und der einzige Ausweg als eine überall postulierte Transformation des- und derselben verkauft wird, damit wir doch wieder im Ego-fokussierten Bewusstsein landen? Veranschaulicht die angestrengte und akademisch angestrebte Suche nach dem Alleinstellungsmerkmal eines Künstlers und damit die wieder erkennbare Handschrift einer Künstlerpersönlichkeit nicht genau dieses Problem? Sollte damit etwa allgemein sichtbar werden, dass Ausbildungen, Karrieren, technischer Fortschritt genau wie alle anderen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen nur in eine Sackgasse der übersteigerten Egos führen und hier enden?
Wenn dem so sein sollte, wird damit die Handschrift bei der Tiefe und Größe der Problematik obsolet zugunsten eine Epoche permanenter Wandelbarkeit von Handschriften, Haltungen und Hirarchien? Einzig eine höchste Qualität und Professionalität innerhalb einer Palette von Fertig- und Fähigkeiten bliebe erhalten und zeichnete den Menschen jenseits seiner Signatur diverser Handschriften aus. So entfaltet sich womöglich nach einer Zeit der Entwicklung des Solisten, Solitären und damit Separierten seit Albrecht Dürers „Selbstbildnis als Künstler“ im Jahre 1498 und seiner Pflege über die folgenden Jahrhunderte möglicherweise ein Sprung über das Bewusstsein des Egos hinaus, nur wohin? Was kommt nach der Entwicklung und Entfaltung des Egos, das zumeist auf Kosten anderer ausgeprägt werden muss? –
Wie entstanden die allseits zu beobachtenden Täter- und Opferspiele, zu der sich neben diesen beiden Rollen, auch noch die des Initiators dieser Spiele, der sich dann auch noch als Retter des Opfers und als Richter des Täters aufspielen darf? Nehme ich mangels Sensibilität und Übersicht eine dieser Rollen ein, dränge ich mein Umfeld nur dazu, die anderen Plätze einzunehmen und es entsteht ein Verhalten innerhalb dieser Rollen, das alle unlebendig macht, da wir allmählich diese Rollen in Lebensgewohnheiten verwandeln und schließlich ganz mit dem Leben verwechseln. Ganze Industrien werden um den Erhalt dieser Rollen herumgebaut und behauptet, ohne sie könnten wir nicht überleben. Eine Dimension der Täuschung entsteht, die wir aufgrund ihrer Größe für die Wahrheit halten. Werden wir in diese Funktionen gedrängt, entsteht in dem Menschen, der es sich gestattet, ein Gefühl der Getrenntheit von sich selbst und von der Welt, das neben dem Bedürfnis nach Entfaltung das wichtigste Gefühl des Menschen überhaupt ist: die Verbundenheit. Jedes kleine Kind strebt danach und muss lernen, das beide Grundsteine seiner eigenen Entwicklung auf der Erde nicht gelebt werden können. Ähnlich verhält es sich mit der Rolle des Künstlers, der (mehr oder weniger verzweifelt) versucht, auf seine Umgebung über Impulse Einfluss zu nehmen, ihr Erneuerungen zu verschaffen, Innovative Elemente einzuverleiben, auch noch permanent Denkanstöße liefert und an Gefühle appelliert, um selbst aus seiner Rolle heraus zu finden und andere bestenfalls mit in die Lebendigkeit zurück zu führen. Dabei stabilisiert er nur durch seinen Beitrag den Mangel an Lebendigkeit, indem er so tut, als sei in dieser Gesellschaft eben doch alles möglich. Stimmt nicht, denn er bleibt mit seiner Beteiligung am Spiel selbst in Markt-, Sach- und Geltungszwängen gefangen.
Aber wie verlassen wir nun das begrenzte Spielbrett dieser Möglichkeiten, in der die Kunst auch nur das Erfüllen einer beschränkt innovativen Erwartungshaltung der anderen bedeutet, um überhaupt ein bisschen Beachtung geschenkt zu bekommen? Wie können wir die dafür notwendige Sensibilität entwickeln, um in die nötige Übersicht zu kommen, um das gesamte Bild im Kleinen bei sich selbst wie im Großen in der Gesellschaft endlich wahrnehmen zu können?
Beultier schlug beim Rundgang der Kunstakademie vor, die Rolle mit Humor zu füllen, indem er in seinem frankophilen Kostüm in frivol-französischakzentuiertem Deutsch dem an seinen Bildern interessierten Publikum die von ihr erwartete Künstlerrolle mit den Mitteln der Übertreibung und Pointierung vorspielte, so das eine innere Befreiung davon stattfinden konnte. So hüpfte er leichtfüßig über die, womöglich das Blumenfeld seiner eigenen Abhängigkeiten, Befindlichkeiten und Gefühle darstellenden einzelnen Blumentöpfe und sprang damit vom Spielfeld der Rollen zurück in seine eigene Lebendigkeit. Billigend in Kauf nehmend, das darauf eine Ignoranz des Kunstmarktes folgte, blieb das Gefühl der inneren Freiheit übrig. Damit ist der Humor, wie er uns zeigte, Mittel, Weg und Zweck, die Rollen der beschränkten Möglichkeiten oder das gesamte Spielfeld des Transaktionsdreiecks zu verlassen. Jenseits dieses Feldes wartet vielleicht eine Freiheit wie eine Kunst, die wirklich frei sind, und die einem das nicht nur vorgaukeln. So sind die Primeln womöglich der Versuch, mit jedem Bild neue Handschriften zu entwickeln, in täglicher Permanenz auf der immerwährende Suche nach neuen Positionierungen in sich wiederholender Sichtbarkeit, um der allgegenwärtigen Falle des Marktes, der krampfhaften Suche nach dem nur scheinbar erlösenden Alleinstellungsmerkmal oder des vordergründig nützlichen Labels auszuweichen…
So ist die Galerie Hausen in Euskirchen die erste Galerie, die sich der Malerei Francois Beultiers annimmt und seine Arbeiten öffentlich ausstellt.