2011, 2,4 x 3,5 x 0,2 m, Rohrpfosten/post, Straßennamenschild/street sign
Nachdem das Straßenschild „Weg der pol. Verfehlungen, der pers. Bereicherungen und des Machtmissbrauchs“ am Sonntag, den 18.12.2011 installiert wurde, ging das Eigentum an diesem Objekt per Schenkungsurkunde über auf den Bürgermeister der Stadt Münster:
SchenkungOberbürgermeisterStadtMünster
Nachdem diverse Zeitungen über das längste Straßenschild der Welt berichtet hatten, zahlreiche Besucher nach Münster reisten, um sich vor und mit diesem fotografieren zu lassen, wurde das Kunstwerk am 17.01.2012 von unbekannt entwendet. Gerüchten zufolge soll sich der „Weg der pol. Verfehlungen, der pers. Bereicherungen und des Machtmissbrauchs“ im Partykeller des Oberbürgermeisters der Stadt Münster, Herrn Markus Lewe, befinden.
After the street sign „Weg der pol. Verfehlungen, der pers. Bereicherungen und des Machtmissbrauchs“ was installed on Sunday, 18.12.2011, ownership of this object was transferred to the Mayor of the City of Münster by deed of gift:
DonationMayorCityMuenster
After various newspapers had reported about the longest street sign in the world, numerous visitors traveled to Münster to be photographed in front of and with it, the work of art was stolen by unknown persons on 17.01.2012. According to rumors, the „path of pol. misconduct, pers. Enrichment and abuse of power“ is said to be in the party cellar of the Lord Mayor of the city of Münster, Mr. Markus Lewe.
Nimm die Abkürzung!
That‘s the way, aha, aha, I like it
KC and the Sunshine Band
Vereinfachend spricht der Volksmund von jeder Namensgebungszeremonie als von einer Taufe; wir wollen nicht abseits stehen und schließen uns dem Sprachgebrauch an, gratulieren also dem kurzen Stück Weg, das unweit des wassergefüllten Grabens rings des Schloßparks von der Münsterschen Hüfferstraße abzweigt, zur Taufe und dem Paten, Frank Bölter, zur Namensfindung. Fürderhin soll dieser erst gepflasterte, dann im Sande verlaufende Fußweg also heißen:
„Weg der pol. Verfehlungen, der pers. Bereicherungen und des Machtmissbrauchs“
So steht es auf dem am 4. Adventssonntag des Jahres 2011 feierlich errichteten Straßenschild.
Das in jedweder Hinsicht äußerst bemerkenswert ist.
Was als erstes auffällt: Der Pfosten steckt nicht senkrecht im Boden, sondern ist kräftig zur Seite geneigt. Dadurch weist das ganz korrekt in rechten Winkel dazu angebrachte Namensschild steil nach oben. Man ist geneigt, das reflexartig inhaltlich zu deuten, dass nämlich die Wege nach oben, insbesondere die ganz steilen Karrieren, mit dem Straßennamen auffallende Kongruenzen besitzen.
Das Raffinierte daran ist natürlich, dass die Betrachtung des Schildes von der anderen Seite – wiewohl sie durch die Positionierung so dicht vor der Hauswand rein imaginär bleiben muß – die umgekehrte Erkenntnis mit sich bringt. Der steile Abstieg ist also vorprogrammiert, wenn auch zunächst nicht sichtbar.
Aber auch auf der formalen Ebene ist diese seitliche Neigung des haltenden Pfostens von Belang: Sie stellt nicht nur statisch, sondern auch optisch ein Gleichgewicht her zur enormen Längenausdehnung des Straßenschildes: Trotz der verwendeten Abkürzungen erreicht es das stolze Maß von 2,40 Metern.
Dass das scheinbar zufällige Resultat, sowohl der gekippten Positionierung als auch des nur mit Mühe und Not auf das Schild gezwängten Bandwurmnamens, Ergebnis sorgfältiger Planung ist, belegen des Künstlers Vorstudien in Photomontagen und aquarellierten Zeichnungen.
Die Abkürzungen auf dem Straßenschild kann man zwar mutwillig missdeuten, aber eigentlich liest sie in diesem Zusammenhang jeder sofort richtig. Was offenbleibt, ist, an was oder wen man dabei denkt. Klar jedoch auch, dass sich der Mittelteil des Namens, also die „persönliche Bereicherung“, auf alle möglichen Menschen, Teil eins und drei des Namens aber ausschließlich auf die Würdenträger der politischen Kaste beziehen lassen. Alle Jahre wieder ein paar neue.
Politische Verfehlungen und Machtmissbrauch sind in der Regel genau die richtigen Methoden, um seinen Namen auf Straßenschilder einschreiben zu dürfen. Denn die Geschichtsschreibung ist schon immer die der Sieger gewesen und sie spiegelt sich in der Benennung von Straßen und Plätzen; da die Namensgebung aber auch von der aktuellen politischen Großwetterlage abhängt (also der jeweils gegenwärtigen Bewertung der geschriebenen Geschichte) und bekanntermaßen nichts so unvorhersehbar ist wie das Wetter, ändern sich diese Benennungen auch von Zeit zu Zeit.
Gerade Münster hat mit seinem riesigen Areal des Schloßvorplatzes, der auf den Namen „Hindenburgplatz“ hört, ein Paradebeispiel hierfür. Denn erst vor kurzem wurde eine Kommission berufen, die untersuchen sollte, ob der immer wieder gerne als „Steigbügelhalter Hitlers“ apostrophierte Generalfeldmarschall und Reichspräsident Hindenburg als Namensgeber eines Platzes nach 1945 überhaupt noch tragbar sei. Oder ob er nicht endlich umgetauft gehört. Die Kommission kam zu letzterem Ergebnis. Aber noch zu keinem neuen Namen.
Nicht zuletzt das ist ja eine der herausragenden Qualitäten von Frank Bölters Straßenschild: Es könnte viel länger Bestand haben als die meisten anderen, deren man sich ganz schnell wieder so sehr schämt, dass sie eilends umbenannt werden (spätestens nach dem nächsten Kriegsende).
Der „Weg der pol. Verfehlungen, der pers. Bereicherungen und des Machtmissbrauchs“ wird bleiben. Dass der Name einen solch mickrigen, man könnte auch sagen: idyllischen Weg bezeichnet, schmal, gepflastert und wiesengesäumt, bevor er durch ein schmiedeeisernes Tor in ein Parkgelände führt, paßt nicht so recht. Eigentlich müßte, der Länge des Schildes und der Gewichtigkeit seiner Aussage entsprechend, mindestens eine vierspurige Prachtallee so benannt sein. Aber alle haben einmal klein angefangen, auch die Hitlerstraßen und Hindenburgplätze.
Dennoch bleibt natürlich die Frage: Bedarf ein solches Schild nicht unbedingt einer behördlichen Genehmigung? Ist das erlaubt, so öffentlich und unverblümt ein Mahnmal aufzustellen, das sich als harmloses Straßenschild tarnt? Das hinterrücks jeden harmlosen Passanten zum wiedererkennenden Kopfnicken oder Kopfschütteln, zu hämischem Lachen oder tiefem Nachdenken veranlassen wird?
Ein großes Kunstereignis, wie die Einweihung von Frank Bölters „Weg der pol. Verfehlungen, der pers. Bereicherungen und des Machtmissbrauchs“ eines war, hat am vierten Adventssonntag in der Provinzmetropole Münster naturgemäß einen überschaubaren Zuschauerkreis. Es fehlten jedoch auch die eigentlich notwendigen, unausgesprochen eingeladenen Festredner, die zu diesem besonderen Zeitpunkt des Jahres 2011 unbedingt Christian Wulff und Dr. plag. Karl-Theodor zu Guttenberg hätten sein müssen, die aber ebenso plötzlich wie vorhersehbar leider verhindert waren.
Aber wenn Frank Bölters Idee sich erst einmal durchsetzt (und auf lange Sicht wird sie das ob ihrer Qualität sicher tun), dann kommen besagte Herren bestimmt gerne doch noch einmal zur nächsten festlichen Straßentaufe oder zur Umbenennung der Stalin-, ach nein, der Frankfurter Allee nach Berlin – mit entsprechend viel Schampus und Pressefotografen im Gefolge. Wahrscheinlich werden dazu weder der Künstler noch ich eingeladen. Wir freuen uns trotzdem darauf.
/Take the shortcut!
That’s the way, aha, aha, I like it
KC and the Sunshine Band
Simplifying, the vernacular speaks of every naming ceremony as a christening; we don’t want to stand aside and join in the linguistic usage, thus congratulating the short piece of path, which branches off from Münster’s Hüfferstraße not far from the water-filled moat around the Schloßpark, on the christening and the godfather, Frank Bölter, on the naming. Henceforth this first paved, then in the sand running footpath is to be called thus:
„Path of political misconduct, personal enrichment and abuse of power. Enrichments and the abuse of power“.
So it is written on the street sign solemnly erected on the 4th Sunday of Advent in 2011.
Which is extremely remarkable in every respect.
The first thing that stands out is that the post is not stuck vertically in the ground, but is strongly inclined to the side. As a result, the nameplate, which is correctly positioned at right angles to it, points steeply upwards. One is inclined to interpret this reflexively in terms of content, namely that the paths to the top, especially the very steep careers, have striking congruencies with the street name.
The ingenious thing about it is, of course, that the observation of the sign from the other side – however it must remain purely imaginary by the positioning so closely in front of the house wall – brings the opposite realization. The steep descent is thus pre-programmed, even if not visible at first.
But also on the formal level, this lateral inclination of the holding post is of importance: it not only statically, but also optically balances the enormous length expansion of the street sign: despite the abbreviations used, it reaches the proud dimension of 2.40 meters.
The artist’s preliminary studies in photomontages and watercolor drawings prove that the seemingly random result, both of the tilted positioning and of the tapeworm name that is only squeezed onto the sign with great effort and necessity, is the result of careful planning.
The abbreviations on the street sign can be willfully misinterpreted, but actually everyone immediately reads them correctly in this context. What remains open is what or whom one thinks of. However, it is also clear that the middle part of the name, i.e. „personal enrichment,“ can be applied to all kinds of people, but parts one and three of the name can be applied exclusively to the dignitaries of the political caste. A few new ones every year.
Political misconduct and abuse of power are usually just the right methods to be allowed to inscribe one’s name on street signs. For the writing of history has always been that of the victors and it is reflected in the naming of streets and squares; but since the naming also depends on the current major political weather situation (i.e. the respective current assessment of written history) and, as is well known, nothing is as unpredictable as the weather, these namings also change from time to time.
Münster in particular has a prime example of this with its huge area of the palace forecourt, which goes by the name of „Hindenburgplatz“. Only recently, a commission was appointed to investigate whether Field Marshal General and Reich President Hindenburg, who was often referred to as „Hitler’s stirrup holder,“ was still acceptable as the name-giver for a square after 1945. Or whether he should finally be renamed. The commission came to the latter conclusion. But not yet to a new name.
Not least that is one of the outstanding qualities of Frank Bölter’s street sign: It could last much longer than most others, of which one is so quickly ashamed again that they are hastily renamed (at the latest after the next end of the war).
The „path of political misconduct, personal enrichment and abuse of power. Enrichments and the abuse of power“ will remain. That the name describes such a puny, one could also say: idyllic path, narrow, paved and meadow-lined, before it leads through a wrought-iron gate into a park area, does not fit so well. Actually, according to the length of the sign and the weight of its statement, at least a four-lane boulevard should be so named. But everyone started small, even Hitler’s streets and Hindenburg’s squares.
Nevertheless, of course, the question remains: doesn’t such a sign necessarily require official approval? Is it permissible to erect a memorial so publicly and bluntly, masquerading as a harmless street sign? Which will surreptitiously cause every harmless passerby to nod or shake his head in recognition, to laugh maliciously or to think deeply?
A major art event, such as the inauguration of Frank Bölter’s „Weg der pol. Enrichment and Abuse of Power“ was, naturally has a manageable circle of spectators on the fourth Sunday of Advent in the provincial metropolis of Münster. However, there was also a lack of the actually necessary, unspoken invited festive speakers, which at this particular time of the year 2011 necessarily Christian Wulff and Dr. plag. Karl-Theodor zu Guttenberg should have been, but they were as suddenly as predictably unfortunately prevented.
But if Frank Bölter’s idea catches on (and in the long run it will certainly do so because of its quality), then the gentlemen in question will certainly be happy to come again to the next festive street christening or to the renaming of the Stalin, oh no, the Frankfurter Allee in Berlin – with plenty of champagne and press photographers in their wake. Probably neither the artist nor I will be invited. Nevertheless, we are looking forward to it.
Stephan Trescher